Am dritten Abend der Veranstaltungsreihe Ecce homo wird das Thema Verletzlichkeit aus zwei Perspektiven beleuchtet. Wie geht der Fernsehkrimi auf Verwundbarkeit ein und wie gehen Menschen mit Verletzungen um, deren Beruf es ist, andere zu verletzen.
Moderator Frank Vogelsang von der Evangelischen Akademie im Rheinland hat sich zu diesem Thema zwei Experten ins Haus der Evangelischen Kirche Bonn eingeladen: Arzt und Schauspieler Dr. Joe Bausch, der den meisten Gästen als Gerichtsmediziner aus dem Kölner Tatort bekannt ist, und Dr. Tatjana Schröder, Chirurgin aus dem Bonner Waldkrankenhaus.
Ein religiöses Ritual? Sonntag, 20.15 Uhr ist Zeit für Tatort
Bausch zieht direkt zu Beginn die Parallele zwischen dem allsonntäglichen Tatortgucken und einem Gottesdienst. „Wenn ich in meiner Rolle als Gerichtsmediziner einem Hohepriester gleich an den Seziertisch trete, auf dem das Opfer wie auf einem Altar liegt, dann hat das schon Ähnlichkeiten mit einem Messritual“, meint er und gibt schmunzelnd zu, dass ihm diese Parallele vielleicht auch deshalb in den Sinn komme, weil er seine ersten Auftritte vor Publikum seiner langjährigen Tätigkeit als Minestrant zu verdanken habe. Doch der Ritualgedanke lässt sich auch auf die Fernsehzuschauer übertragen, da für die meisten die 90-minütige Gangsterjagd am Sonntagabend fest zum Wochenrhythmus gehört.
Mit Coolness und Professionalität zum Ankerpunkt
Bausch hat im Krimi keine unwichtige Rolle, fungiert er doch als Vermittler dessen, was eigentlich nicht fassbar ist. „Bestimmte grausame Dinge kann man im Fernsehen einfach nicht zeigen. Durch mich schaffen die Drehbuchautoren den Spagat zwischen dem Unzeigbaren und dem, was gerade noch vertretbar ist.“
Man kennt Bausch als coolen Typ, als Profi, den so schnell nichts aus der Bahn wirft. Und mit dieser Coolness schafft er eine Art Ankerpunkt für den Zuschauer am Bildschirm, seine professionelle Haltung mildert das Bedrohliche ab. „Bei mir ist der Zuschauer in guten Händen“, sagt Bausch, „ich grenze mit meinen sachlichen Schilderungen die Phantasie des Zuschauers ein und geh mit ihm ein Stück des Wegs gemeinsam.“
Für das Zeigen von Angst und Betroffenheit sind die Kommissare zuständig und leiden stellvertretend für die Menschen auf dem Sofa mit. Darin sieht Bausch auch die stärkste Entwicklung des Krimi-Genres: Die Ermittler sind nicht mehr ausschließlich die harten Kerle, sondern lassen den Zuschauer ein Stück an ihrem Privatleben teilhaben und in ihre Seele gucken. „Diese Verletzlichkeit schafft die Nähe zu den Menschen vor den Bildschirmen.“
Es muss im Krimi schon um Leben und Tod gehen
Rund 2000 Menschen werden in Deutschland jedes Jahr umgebracht. Die Zahl der Bildschirmleichen liegt mit 13.000 Toten wesentlich höher. Das liegt daran, dass fast kein Krimi mehr ohne den Satz „Wir ham da a Leich“ auskommt. Aber sonst wäre es auch langweilig. „Einbruch und Zollfahndung fesseln uns nicht, es muss schon um Leben und Tod gehen.“ Es scheint also in der unserer Gesellschaft das Bedürfnis zu geben, sich mit Grenzüberschreitung und Verletzung zu beschäftigen. Das liegt an der Verständigung der Zuschauer über einen gesellschaftlichen Moralkonsens, vor allem aber an der gemeinsamen Angst vor Verletzung. Doch was können wir tun, um diese Angst zu lindern? Bausch stellt klar: „Wir müssen uns wieder mehr umeinander kümmern und miteinander reden!“ Und wenn es auch nur über die letzte Tatortfolge ist, die als verbindendes Element dient.
Geteiltes Leid ist halbes Leid
Das bestätigt auch Dr. Tatjana Schröder. Als Chirurgin hat sie jeden Tag mit Patienten zu tun, die ihre Ängste und ihre Hilflosigkeit – und damit auch ihre Verletzlichkeit – in den OP-Gesprächen zum Ausdruck bringen. Da ist es wichtig, dass die Angehörigen dem Betroffenen zur Seite stehen. „Denn in Gemeinschaft leiden wir viel weniger als allein.“ Dass Verletzungen und Schmerzen oft auch soziale Phänomene sind, erlebt Bausch in seinem realen Alltag als Gefängnisarzt in der JVA Werl. „Viele Häftlinge sind unendlich verletzlich und sensibel, wenn es um sie selber geht.“ Und das, obwohl sie andere Menschen oft schwer verletzt haben. Bei vielen Tätern ist der Grund für die Tat in ihrer Biografie zu suchen. Sie haben selbst meist schon in jungen Jahren Verletzungen davongetragen und die dadurch entstandenen Schmerzen haben sie verändert.
Für Tatjana Schröder ist es als Chirurgin Alltag, Menschen zu verletzen. Trotzdem ist auch ihr der persönliche Abstand wichtig. „Wenn ich den Körper des Patienten abdecke und schließlich nur noch meinen zu operierenden Bereich vor mir habe, gibt mir das die nötige Distanz“, so Schröder. Auch in der OP-Vorbereitung sieht Bausch eine fast religiöse Handlung. „Das Vorbereiten des OP-Saals im Team und die Rituale legitimieren die anschließenden Verletzungen am Menschen“, sagt Bausch und Schröder ergänzt: „So wird die Verletzung zu einem Akt des Heilens.“
Hingucken bevor das Kind in den Brunnen fällt
Beide Ärzte sehen sich aber auch mit Vorwürfen oder sogar gerichtlichen Klagen konfrontiert. „Die Anspruchshaltung der Patienten ist größer geworden und durchs Internet wird jeder zum scheinbaren Experten. Ich hasse den Satz: Ich habe gegoogelt“, seufzt Schröder. Bausch sieht darin ein gesamtgesellschaftliches Problem. „Wir sind ein Volk von Rückversicherern. Wenn etwas schief geht, fragen wir zuerst: Gibt‘ s Schmerzensgeld?“
Trotzdem stöhnen wir auf ziemlich hohem Niveau. Bausch, der schon unter schwersten medizinischen Bedingungen sterbenskranke Frauen und Kinder in Afghanistan behandelt hat, fragt sich, was in unserer Gesellschaft passiert, wenn es mal richtig hart kommt. Aus allem machen wir eine große emotionale Show, dabei sind unsere Sorgen – um mit den Worten von Oma Bausch zu sprechen – „ein rasender Furz auf der Gardinenstange.“ Gelächter im Publikum, doch Bausch wird wieder ernst: „Ganz ehrlich, bei den Bergen von Bärchen und Blümchen, die überall liegen, wo eine schlimme Tat verübt wurde, krieg ich das Kotzen.“ Statt Betroffenheit in Fernsehkameras zu heucheln, sollte man lieber hingucken, bevor das Kind in den Brunnen fällt.
Kommende Veranstaltung
Nach diesen Schlussworten bleibt Moderator Frank Vogelsang nur noch, auf die kommenden Veranstaltungen der Reihe Ecce homo hinzuweisen, die vom Evangelischen Forum Bonn, dem Katholischen Bildungswerk Bonn, der Evangelischen Erwachsenenbildung im Kirchenkreis An Sieg und Rhein und der Evangelischen Akademie im Rheinland gemeinsam vorbereitet werden:
Für März 2017 ist ein Abend zum Thema „Berühre die Wunden“ – Herausforderungen an die Seelsorge geplant. Der genaue Termin wird noch bekannt gegeben.
Johanna Nolte