„Wie süß ist doch der Geschmack des Todes, wenn er sich mit der Luft meines Landes vermählt“

Die Bilder von den Anschlägen in New York, Paris und Brüssel stehen uns allen noch vor Augen. Sie machen deutlich, mit welcher Effizienz Terrororganisationen Selbstmordattentäter einsetzen. Die Suizidanschläge sind jedoch nicht die Erfindung der Islamisten, sondern wurden bereits in den 1970er-Jahren von säkularen Kampforganisationen erdacht und eingesetzt.
Dr. Joseph Croitoru, Historiker, Journalist und Autor, war am Mittwoch, 2. November 2016 auf Einladung des Evangelischen Forums und des Katholischen Bildungswerkes zu Gast im Haus der Evangelischen Kirche in Bonn und hielt einen informativen Vortrag über die „Geschichte und Gegenwart des Selbstmordattentats“.

Das Selbstmordattentat – keine Erfindung der islamistischen Terroristen

Die Wurzeln des Selbstmordangriffs gehen laut Croitoru auf japanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg zurück, die als Kamikaze-Piloten feindliche Militärstützpunkte angriffen. Im Zuge des palästinensischen Befreiungskampfes geraten immer mehr Zivilisten ins Visier der Attentäter.
Weitere Neuerungen brachten in den achtziger Jahren Terroristen der proiranischen schiitischen Hizbullah: Sie verübten ihre Anschläge mit sprengstoffbeladenen Fahrzeugen und hielten die Fahrt zum Anschlagsziel sowie die Detonation auf Video fest.

„Um den Feind ins Herz zu treffen“ – Das Testament eines Attentäters

Die mediale Inszenierung ist bis heute ein wichtiges Element des Anschlags. Croitoru zeigt Bilder von Attentätern, die ihr Testament vor der Kamera verlesen: Junge Männer, die davon träumen, „den Feind ins Herz zu treffen“ und bekennen „wie süß ist doch der Geschmack des Todes, wenn er sich mit der Luft meines Landes vermählt“. Dann filmen sie minutiös den Weg zum Anschlagsort. Zur genauen Dokumentation wird häufig sogar eine Karte von Googlemaps eingefügt. Das Terrornetzwerk dokumentiert als Zeichen des Sieges über den Feind die Detonation und verbreitet das Video nach dem Anschlag im Internet. Außerdem wird das Attentat verschriftlicht und in einer eigenen Zeitung der Organisation veröffentlicht und archiviert.

Terroristen unter Innovationsdruck

Der Innovationsdruck unter den Terrororganisationen ist hoch, will man den Feind doch immer wieder mit neuen Vorgehensweisen überraschen. Es werden nicht mehr nur junge Männer eingesetzt sondern auch Frauen, Kinder. Sogar eine vierzigfache Großmutter wurde von der palästinischen Hamas rekrutiert. Auch die Art zum Anschlagsziel zu gelangen variiert von am Körper getragenen Bombengürteln, über die Autobombe, Sprengsätze in Koffern und Rucksäcken und selbst in Passagierflugzeugen, wie der Anschlag vom 11. September 2001 zeigt.

Inghimasi: Der neue Attentäter-Typus drückt nicht nur auf den Zündknopf

„Ein neuer Attentäter-Typ ist der sogenannte Inghimasi“, erklärt Croitoru. Das arabische Wort hat zwei Bedeutungen: „eintauchen“, weit in das Lager des Feindes; und „sich hingeben“. Anders als der „klassische“ Selbstmordattentäter arbeitet der Inghimasi effizienter und versucht schon vor der Sprengung, möglichst viele Menschen anzugreifen. „So war es in Nizza aus Terroristensicht viel effizienter mit dem Lastwagen über die lange Promenade zu fahren und damit möglichst viele Menschen in den Tod zu reißen, als eine punktuelle Sprengung auszulösen“, erläutert der Experte den interessierten Zuhörern. Der Einsatz dieses Terroristen-Typus lehnt sich an die Zeit der frühislamischen Kämpfer an, die sich heldenhaft auf eine große Zahl von Feinden stürzten und sie überwältigten – „denn Sprengstoff gab es zur Zeit des Propheten noch nicht“.
Anschließend nimmt sich Croitoru Zeit für die Fragen des engagierten Publikums. So kann noch geklärt werden, dass das Konzept des „Schlachtfeldmärtyrers“ nur im Islam vertreten ist. Aus Christen- und Judentum ist ausschließlich das passive Märtyrertum, bei dem der Gläubige kampflos getötet wird, bekannt.