Die Theologie des Spiels – Theatergespräche über Gott und die Welt

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Axel von Dobbeler vom Evangelischen Forum (2.v.l.) und Johannes Sabel (1.v.r.) vom Katholischen Bildungswerk im Gespräch mit Dramaturgin Johanna Vater und den Schauspielern und Regisseuren Jacob Suske und Hajo Tuschy (2.v.r.).

Das Schauspiel ist allen noch vor Augen – sowohl dem Publikum, als auch den Schauspielern und Regisseuren Jacob Suske und Hajo Tuschy, die frisch geduscht neben Axel von Dobbeler und Johannes Sabel nach der Aufführung im Foyer der Werkstattbühne Platz genommen haben. Genau das macht den Reiz der „Theatergespräche über Gott und die Welt“ aus, erläutert Axel von Dobbeler, Leiter des Evangelischen Forums Bonn, das Konzept. „Die Zuschauer kommen direkt im Anschluss an eine Aufführung mit den Menschen, die gerade noch auf oder hinter der Bühne aktiv waren ins Gespräch. Alles kann zur Sprache kommen: von der Dramaturgie über die künstlerische Gestaltung und die schauspielerische Leistung bis hin zu den Inhalten oder der „Botschaft“ des jeweiligen Stücks.“ „Und auch der Frage, ob und in welchem Maße sich hier Schnittmengen mit Religion ergeben, kann nachgegangen werden“, ergänzt Johannes Sabel vom Katholischen Bildungswerk, der zusammen mit von Dobbeler und in Kooperation mit dem Theater Bonn die Gespräche bereits im fünften Jahr anbietet.

Das Spiel und die Inkarnation Gottes

Das ganz in rot und schwarz gehaltene Bühnenbild, das Roulettespiel, das für die Hauptfigur Aleksej Faszination und Verderben zugleich ist, seine Liebe zu Polina, die finanziellen und amourösen Verstrickungen ihres Stiefvaters, des Generals, die von Suske live gespielten Musikeinlagen und nicht zuletzt die Schauspielleistung Tuschys, der sechs Figuren gleichzeitig spielt – all das schwirrt dem Publikum nach der Aufführung von Fjodor Dostojewskis „Der Spieler“, das Suske und Tuschy zusammen mit Dramaturgin Johanna Vater inszeniert haben, durch den Kopf.
Das Prinzip, ein bekanntes Stück mit einem Protagonisten, den es in den Abgrund treibt, zu wählen, hat sich bereits beim Vorgängerprojekts „Cocaine“ (März 2015) bewährt. Und obwohl das Schauspiel durch die vielen aktuellen Fragestellungen und Exkurse sehr zeitgemäß wirkt, ist der größte Teil Wort für Wort vom 1866 veröffentlichten Roman übernommen, betont Johanna Vater. Die Aktualität wird auch durch den Protagonisten Aleksej vermittelt: „Er ist ein typischer Vertreter der heutigen jungen Generation, ist sehr reflektiert, stößt sich an vielem – ein Typ, in dem ich mich wiederfinde“, erklärt Schauspieler Tuschy seine Rolle. Vor allem verkörpert Aleksej den Appell zur Unvernunft und zum Spiel, plädiert für ein Leben im Rausch, das gleichermaßen lustvoll und zerstörerisch sein kann.
Darin spiegelt sich für Sabel die Inkarnation Gottes wider: Gott geht in der Person seines Sohnes Jesus Christus so nah, wie er kann, in die Schöpfung mit all ihrem Lustvollen und Zerstörerischen hinein. „Und auch das Motiv des Spiels findet sich in der Bibel, in der Schöpfungsgeschichte, die ein Spiel mit Regeln und ein kreativer Akt ist“, erläutert Sabel und schlägt eine Brücke zu Friedrich Schiller. Auch der wusste schon „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Diese aufklärerische Erkenntnis deckt sich mit der Vorstellung des „homo ludens“, des spielenden Menschen. Nach diesem Erklärungsmodell entwickelt der Mensch seine Fähigkeiten und individuellen Eigenschaften im Spiel und wird über das freie Handeln und kreative Denken zu einer Persönlichkeit.p1020255

 

„Lebe schnell und gefährlich“ – Die Bibel als Aufforderung zum Risiko?

Doch nicht nur das Kreative und Lustvolle des Spiels findet sich in der Bibel. Ebenso zeigt sich das Risiko des Spiels in vielen Geschichten, wo Menschen bereit sind, alles auf eine Karte zu setzen. So beispielsweise beim Gleichnis vom Schatz im Acker (Mt 13,44), den ein Bauer zufällig bei der Arbeit findet, daraufhin alles, was er besitzt, verkauft und davon den Acker erwirbt. Will uns die Bibel also zu einem lustvollen, risikobereiten Leben auffordern, nach dem Motto „Lebe schnell und gefährlich“? „Die Bibel lehrt uns, das Leben jetzt zu leben, weil es ein Geschenk ist“, erläutert von Dobbeler und die Rückfrage, ob man sich das Leben denn nicht erst verdienen müsse, verneint er: „Wir müssen das Leben lediglich mit offenen Händen empfangen.“
Ein Zuschauer knüpft daran an. Das Leben als göttliches Geschenk beinhalte die große Freiheit, die Gott den Menschen zubillige. Jeder könne im Prinzip sein, wie er möchte. Aber wie passe das und die Aufforderung zu Lebenslust und Risiko zur christlichen Moral? Das Christentum sei nicht primär als Religion der Moral zu verstehen, so Sabel. „Vielmehr hat die hat die Kirche diese Vorstellungen als Verlängerung der bürgerlichen Moral ausgebildet.“

Zockerei als Todsünde?

Dazu bringt eine Besucherin einen neuen Aspekt ein: Bediene Aleksej mit seiner Zockerei nicht zwei der Todsünden, nämlich Wollust und Habgier? Sie verstehe das Stück als Lehre: „Geh bloß nicht ins Casino.“ Dramaturgin Vater sieht das anders. Ihrer Ansicht nach gehe es Aleksej gar nicht ums Geld, sondern nur ums Spielen. „Ein Gentleman spielt, um das Spiel und sich selbst kennen zu lernen“, zitiert sie den Spieler, „nicht aus dem Wunsch zu gewinnen.“ Das zeigt sich auch an der Großmutter im Spiel. Die alte reiche Dame aus St. Petersburg, auf deren Ableben der General wartet, um mit ihrem Erbe seine Schulden endlich begleichen zu können, hat genug Geld. Sie bräuchte nicht im Casino zu spielen, aber tut es aus Lust am Spiel.
Bleibt zuletzt noch die Frage zu beantworten, ob der Urheber des Stücks eigentlich religiös war. „Dostojewski wuchs in einem streng gläubigen Elternhaus auf und lebte eine mystische Form des Glaubens“, erklärt von Dobbeler. Aber die Stücke für die Theatergespräche würden nicht nach christlichen Motiven oder der Religiosität des Autors ausgewählt. „Man muss aufpassen, dass man keine Theaterstücke tauft“, schmunzelt von Dobbeler und Sabel ergänzt: „Kunst und Theater weisen immer existentielle Elemente auf und grundsätzliche menschliche Erfahrungen sind immer auch ein Stück Theologie.“
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Das nächste Theatergespräch findet am 11. Januar 2017 im Anschluss an die Aufführung des Stücks „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter“ nach der Novelle von Johann Wolfgang von Goethe statt